"Es gibt nur eine liberale Partei in Deutschland"

Christian Lindner, Mitglied des nordrhein-westfälischen Landtags und Generalsekretär der Freien Demokratischen Partei in Nordrhein-Westfalen, schreibt in einem Leserbrief, der am 20. April 2009 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht worden ist:

"Es gibt nur eine liberale Partei in Deutschland

Zum Leitartikel 'Die Ähnlichkeit der Gegensätzlichen' (F.A.Z. vom 15. April): So wie Majid Sattar habe ich selbst auch einmal an eine gewisse Nähe von Grünen und FDP geglaubt - mindestens in der Wählerschaft. Deshalb hatte ich für den nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf 2005 eine umfängliche Kampagne 'Gelb statt Grün' konzipiert. Damals - und zu keinem anderen Zeitpunkt - hat es aber einen nennenswerten Wähleraustausch zwischen beiden Parteien gegeben. Dieser Polarisierung liegt kein Missverständnis zu Grunde.

Die Grünen wurden aus einer Skepsis gegenüber Staat und Parteien gegründet. Heute instrumentalisieren sie die Staatsgewalt, um ihre gesellschaftspolitischen Vorstellungen bis in den privaten Lebensvollzug durchzusetzen. Im parlamentarischen Alltag kann ich regelmäßig nur staunen, wie die Grünen aus unserer Gesellschaft mit immer neu geforderten Regeln, Verboten, Paragraphen, Steuern und Appellen eine staatliche Besserungsanstalt machen wollen. Liberale sind dagegen keine Zensoren privater Lebensentwürfe. Die kaum zu überschätzenden Unterschiede zwischen beiden Parteien liegen aber weniger im Tagesgeschäft, das fraglos von Opportunitäten bestimmt wird, sondern in den grundlegenden Werthaltungen sowohl der Parteien als auch ihrer Unterstützer.

Die statistischen Ähnlichkeiten (Bildungsstand, Einkommen) lassen eine Verwandtschaft der Wähler vermuten, die sich bei näherer Betrachtung ihrer Wertpräferenzen als optische Täuschung entpuppt: In einer dimap-Umfrage anlässlich der letzten Bundestagswahl verbanden beispielsweise 76 Prozent der Grünen-Wähler Gerechtigkeit mit Soliardität und nicht mit individueller Leistung. Im Gegensatz dazu plädierten 63 Prozent der FDP-Wähler im Zweifel für Leistungsgerechtigkeit und gegen staatliche Umverteilung. Die Werte der Grünen entsprachen übrigens fast denen der Linkspartei. Nicht ganz ohne Grund haben dieser Tage führende Grüne bemerkt, dass sie der Linkspartei programmatisch näher stünden als der FDP.

Die von Sattar angedeutete Frage, ob es in Deutschland zweier liberaler Parteien bedürfe, stellt sich also nicht. Es gibt nur eine liberale Partei."

Dieser Leserbrief ist stellenweise natürlich polemisch bzw. von parteipolitischer Propaganda durchsetzt, aber nichtsdestoweniger interessant. Die Auffassung, dass das liberale Lager in Deutschland durch zwei verschiedene Parteien repräsentiert werde, nämlich durch FDP und Grüne, habe ich schon einmal irgendwo aufgeschnappt. Ich persönlich hätte die Grünen aber nie für eine liberale Partei gehalten. Das mag wohl auch daran liegen, dass ich in Österreich und nicht in Deutschland lebe. Die Grünen in Österreich entstanden aus verschiedenen Bewegungen, die sich für Umweltschutz einschätzten, wobei manche dieser Bewegungen eher konservativ und andere eher linksgerichtet waren. Bei den Nationalratswahlen traten zunächst verschiedene grüne Listen an. Schließlich setzte sich eine Liste durch, die politisch weit links stand. Daraus entwickelte sich die heutige Partei "Die Grünen".

In Deutschland ist diese Entwicklung sicherlich anders verlaufen. Ich werde mich darüber noch näher informieren. Tatsache ist jedenfalls, dass die grüne Partei in Deutschland ja offiziell "Bündnis 90 / Die Grünen" heißt. Das "Bündnis 90" war eine der zahlreichen Parteien, die in der ehemaligen DDR nach dem Mauerfall und dem Ende des Sozialismus gegründet wurden. Wenn ich richtig informiert bin, hat diese Partei tatsächlich eher liberale Positionen vertreten. Da sie aber im Westen nicht vertreten war, fusionierte sie mit der westdeutschen Partei "Die Grünen", um realpolitisches Gewicht zu erlangen. Wie stark die ehemaligen Mitglieder des Bündnis 90 heute in den deutschen Grünen vertreten sind und inwiefern sie Programm und reale Politik dieser Partei prägen, ist mir unbekannt.

Der letzte Absatz in diesem Leserbrief ist unlogisch: "Die von Sattar angedeutete Frage, ob es in Deutschland zweier liberaler Parteien bedürfe, stellt sich also nicht. Es gibt nur eine liberale Partei." Ich denke, ich muss nicht näher ausführen, warum das unlogisch ist. Tatsache ist aber, dass es sehr viele verschiedene politische Strömungen gibt, die sich selbst als liberal oder dem Liberalismus nahestehend bezeichnen. Im Diskussionsforum der Website liberalismus.at wurde die FDP von vielen Diskussionsteilnehmern abgelehnt, weil sie ihrer Meinung nach zu viele "kollektivistische Elemente" enthielte. Nicht umsonst gibt es innerhalb der FDP eine "libertäre Plattform", analog zur "kommunistischen Plattform" in der ehemaligen PDS (heute "Die Linke"): Manchen Mitgliedern ist die offizielle Parteilinie nicht radikal genug.

Mehr als eine liberale Partei zu gründen, ist machtpolitisch jedoch möglicherweise unklug, weil wegen der Kleinheit des liberalen Lagers die Gefahr bestünde, dass nur eine Partei in den Bundestag einziehen könnte. Wenn auch mehr als eine Partei den Einzug schaffen sollte, so wäre es sehr unwahrscheinlich, dass sie eine so große Mehrheit erzielen würde, dass sie eine Alleinregierung oder eine Regierung mit einem "nichtliberalen" Koalitionspartner (sofern dies überhaupt wünschenswert wäre...) zustande bringen würde. Also würden sich die beiden liberalen Parteien, wenn sie an die Macht kommen wollten, erst recht wieder miteinander arrangieren müssen. Andererseits hätte ein "getrenntes Marschieren" möglicherweise den Vorteil, dass der Wähler entscheiden könnte, welcher Strömung innerhalb des Liberalismus er den Vorzug gäbe; dann wäre diese in den Koalitionsverhandlungen gestärkt. Dagegen kann man aber einwenden, dass ja theoretisch auch innerhalb der Partei Demokratie herrschen sollte und auf diese Weise die Flügelfrage entschieden werden könnte. Außerdem stehen bei der Bundestagswahl ja nicht nur liberale Parteien zur Wahl. Es könnte also sein, dass ein bestimmter Flügel geschwächt würde, weil viele seiner potenziellen Wähler statt dessen andere Parteien wählten, obwohl dieser Flügel einem größeren Teil der Bevölkerung nahe stünde und, gäbe es nur liberale Parteien, von der Mehrheit der Bevölkerung gewählt würde. Aber ist es überhaupt Sinn der Sache, nach dem Willen der Mehrheit zu handeln? Nach demokratischem Politikverständnis natürlich ja; gerade dieses Politikverständnis wird aber häufig von Liberalen verschiedener Couleur kritisiert (u. a. weil befürchtet wird, dass eine "Diktatur der Mehrheit" Rechte von Minderheiten einschränken könnte).

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