Der talentierte Schüler und seine Feinde

Dieses 2008 erschienene Sachbuch des österreichischen Managers und ehemaligen ÖVP-Politikers Andreas Salcher schlug in Österreich wie eine Bombe ein und wurde von vielen Menschen zum Buch des Jahres gewählt, obwohl diese Auszeichnung normalerweise belletristischen Werken vorbehalten ist. Eine kritische Rezension.

Andreas Salcher selbst beschreibt sich als ein typisches Beispiel für einen erfolgreichen Schüler: intelligent, strebsam, rücksichtslos, immer nur aufs eigene Fortkommen bedacht. Nach der Matura studierte er BWL, schloss das Studium mit der Promotion ab, setzte ein Post-Graduate-Studium an der amerikanischen Eliteuniversität Harvard drauf und machte in Politik und Wirtschaft Karriere. So war er unter anderem der damals jüngste Abgeordnete zum Wiener Landtag.

Nun, mit Abstand, sieht Salcher das Schulsystem kritischer. Er vertritt die Meinung, dass es zu sehr auf die Bedürfnisse des Industriezeitalters zugeschnitten sei: Das Ziel sei es, Massen an gut ausgebildeten Menschen zu produzieren; wer in diesem System nicht mitkomme, bleibe auf der Strecke. Der künftige Beruf des Idealtyps von Schülern, für den höhere Schulen geschaffen seien, sei der des Universitätsprofessors. In der Schule würde es fast ausschließlich um logisch-analytische Intelligenz gehen. Dabei gebe es in der Bevölkerung vielfältige Talente, die unterschiedlicher Förderung bedürften. Gleich zu Beginn des Buchs wird etwa der Fall einer britischen Tänzerin gebracht, die als Kind große Schwierigkeiten in der Regelschule hatte. Der Arzt entdeckte ihre kinästhetische Begabung und riet der Mutter, sie solle ihre Tochter in die Tanzschule schicken. À la longue zeigte es sich, dass dies die richtige Entscheidung war, denn das Mädchen war tatsächlich fürs Tanzen begabt, machte Karriere und wurde Multimillionärin. Salcher äußert sich daher kritisch darüber, dass in der Schule die Muttersprache und Mathematik die wichtigsten Fächer seien und diejenigen, die darin schlecht seien, im Schulsystem untergehen würden. Freilich tut er dies, ohne ein wirklich konkretes Konzept zu liefern, wie man das Schulsystem so umgestalten könnte, dass es tatsächlich den Begabungen aller Kinder gerecht würde.

Die Schuld daran, dass Kinder ihr Potenzial nicht entfalten würden, gibt Salcher vor allem den Lehrern, aber auch den Eltern. Diese würden die Begabungen der Kinder nicht erkennen oder, wenn sie diese erkennen, unterdrücken. So sei es etwa in Arbeiterhaushalten verpönt, Bücher zu lesen, was aber die Voraussetzung für den Erwerb von höherer Bildung sei.

Soweit die Ist-Analyse. Wie ich bereits angedeutet habe, ist es mit der Soll-Seite bei Salcher nicht weit her. Salcher bringt zwar im Anhang einige Beispiele von Schulen, die er für gut hält, darunter die Sir-Karl-Popper-Schule für intellektuell hochbegabte Kinder in Wien, an deren Gründung er als Politiker selbst maßgeblich beteiligt war. Wie aber bereits dieses konkrete Beispiel zeigt, handelt es sich dabei erst recht wieder um Schulen, in denen es vornehmlich um intellektuelle Fähigkeiten geht. Sie unterscheiden sich also in ihrem Grundkonzept nicht wesentlich von den von Salcher kritisierten Regelschulen.

Kurz gesagt: Salchers Buch hat sich gut verkauft, weil es ein Thema behandelt, das (wegen der Bildungspflicht) viele Menschen im Land interessiert und dessen Inhalte ihnen zum Teil aus der Seele sprechen dürften. Jedoch beschränkt sich das Buch im Wesentlichen darauf, Probleme aufzuzeigen, und bietet nur wenige Lösungskonzepte an. Zudem stellt sich die Frage, ob Salcher nicht versucht hat, seinen Lesern nach dem Mund zu schreiben, wo er doch selbst mit dem österreichischen Schulsystem offenbar gut zurecht gekommen ist und sich das einzige konkrete Reformprojekt, das er umgesetzt hat, nämlich die Sir-Karl-Popper-Schule, erst recht ausschließlich an intellektuell hochbegabte Schüler richtet, die im Prinzip auch in der Lage wären, im Regelschulwesen gut zurechtzukommen, und die durch die Sir-Karl-Popper-Schule halt noch ein bisschen mehr zu potenziellen "Universitätsprofessoren" gemacht werden sollen.

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