Kritischer Rationalismus versus Positivismus

Ich hatte letztens eine Diskussion mit einem guten Bekannten über Wissenschaftstheorie. Er vertrat die Meinung, dass es notwendig sei, Behauptungen zu beweisen. Es dürfe nicht zulässig sein, einfach irgendeine Behauptung zu vertreten, ohne auf Tatsachen hinzuweisen, die für die Richtigkeit dieser Behauptung sprechen.

Ich erklärte ihm, dass zunächst einmal Behauptungen (Thesen) nach dem Kritischen Rationalismus (Popper) keinen Platz in der Wissenschaft haben. Zulässig sind nur Hypothesen, also Annahmen/Vermutungen. Dabei ist zu beachten, dass es nach Popper nicht erlaubt ist, Hypothesen zu Dingen zu äußern, für die es bereits eine etablierte Theorie gibt. Denn die Theorie gilt so lange, bis sie widerlegt worden ist. Erst wenn eine Theorie widerlegt worden ist, dürfen neue Hypothesen zur Erklärung der darin behandelten Phänomene vorgeschlagen werden.

Dabei gibt es drei Kriterien, die eine Hypothese erfüllen muss: Sie muss neu (also noch nicht widerlegt), logisch und intersubjektiv-empirisch überprüfbar sein. Nur Hypothesen, die diese Kriterien erfüllen, sind zulässig. Damit wäre an sich schon der Einwand meines Gesprächspartners vom Tisch, dass Poppers Falsifikationismus Esoterikern Tür und Tor öffne, jeden Blödsinn zu behaupten. Nach Popper muss es nicht unbedingt Hinweise (Evidenz) geben, die für die Richtigkeit einer Hypothese sprechen. Aber wenn eine Hypothese nicht neu, logisch und intersubjektiv-empirisch überprüfbar ist, dann ist sie nicht zulässig. Zudem trägt nach Popper derjenige, der die Hypothese vorschlägt, die Bringschuld: Er muss angeben, unter welchen Umständen diese Hypothese als widerlegt anzusehen ist. Die Hypothese überprüfen kann dann jeder, der sich dazu berufen fühlt.

Wenn eine Hypothese einmal widerlegt worden ist, ist sie nicht mehr zulässig. Wenn etwa die Homoöpathie behauptet, eine bestimmte Substanzenmischung wäre tödlich, und ein Skeptiker diese Substanzenmischung absichtlich sich selbst zugeführt hat, um zu beweisen, dass dem nicht so ist, dann ist die Hypothese "Substanzengemisch X tötet den, der es einnimmt", ein- für allemal widerlegt. Eine weitere Diskussion darüber erübrigt sich.

Wenn eine Hypothese nicht logisch ist, ist sie ebenfalls nicht zulässig. Und sie ist auch nicht zulässig, wenn sie nicht intersubjektiv-empirisch überprüfbar ist. Beispielsweise kann die Hypothese "Es gibt einen Gott" nicht überprüft werden, unter anderem weil man nicht weiß, was ein Gott ist, und auch nicht, wo man nach einem solchen suchen sollte.

Nur ein Detail am Rande ist dann noch Poppers Forderung, dass Hypothesen möglichst unwahrscheinlich sein sollten, weil eine Hypothese umso leichter zu widerlegen ist, je unwahrscheinlicher sie ist. Das bedeutet auch, dass Aussagen wie "Alle X sind Y" oder "Immer wenn X, dann Y" Hypothesen vom Typ "Es gibt X, die Y" oder "Wenn X, dann kann es sein, dass Y passiert" vorzuziehen sind. Man bedenke auch, dass Hypothesen vom Typ "Es gibt" logisch gesehen ja gar nicht widerlegt, sondern nur bewiesen werden können; sie würden also so lange als falsch gelten, bis der Beweis erbracht wurde. Nur hier hat mein Kollege mit seiner Aussage "Behauptungen müssen bewiesen werden" in gewissem Sinne Recht.

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