Warum Altruismus ein Zeichen von Unreife ist

Als ich nach der Matura einmal einem Lehrer begegnete und ihm erzählte, dass ich nun Medizin studierte, war ihm seine Enttäuschung deutlich anzumerken. Er hatte wohl schon fix damit gerechnet, dass ich Informatik studieren würde und dass ich, wo ich so ein guter Schüler gewesen war, wohl auch ein entsprechend guter Informatiker werden würde, dessen Dienste er dann in Anspruch nehmen könnte.

Ich frage ich, ob sich dieser Lehrer jemals die Frage gestellt hat, warum sich so viele gute Schüler für ein Medizinstudium entscheiden. Ich könnte ihm jedenfalls nicht nur diese Frage beantworten, sondern noch mehr: warum viele gute Schüler sich für ein Medizinstudium entscheiden und dann am Studium scheitern!

Das lässt sich nämlich damit erklären, dass gute Schüler oft moralisch sehr hohe Ansprüche haben: Sie möchten anderen Menschen helfen, Großes leisten, die Menschheit voranbringen. Und wegen dieser edlen Motive erwarten sie sich, entsprechend Unterstützung zu bekommen, um diese Ziele zu erreichen. Doch diese wird ihnen verwehrt: denn die Lehrenden an der Universität sind gar nicht daran interessiert, hochmotivierte Studierende zu fördern. Ihnen geht es vielmehr um die eigene Karriere. Die Lehrtätigkeit wird als Belästigung betrachtet, und es wird daher versucht, sie möglichst zu reduzieren. Das hat zur Folge, dass nur das gesetzlich vorgeschriebene Minimum an Lehrveranstaltungen abgehalten wird und durch verschiedene Maßnahmen die Studentenzahl abgebaut wird, sei es durch Zugangsbeschränkungen oder durch besonders strenge Prüfungen.

Ich habe in meiner Jugend die Ansicht mitbekommen, es sei moralisch höherstehend, altruistisch als egoistisch zu handeln. Altruismus bedeutet Selbstlosigkeit, Altruisten verfolgen in erster Linie nicht ihre eigenen Interessen, sondern die der Anderen, opfern sich für ihre Mitmenschen auf, vernachlässigen eigene Bedürfnisse, nur damit es den Anderen besser geht. Tatsächlich hat es, auch wenn moralisch gesehen der Altruismus tatsächlich höherstehen sollte, einen gewaltigen Haken, selbstlos zu sein: Man bekommt dafür keinen Dank, im Gegenteil, man hat eher Ablehnung zu erwarten. Das hängt auch mit dem moralischen Anspruch zusammen: Viele Menschen neigen dazu, Altruisten vorzuwerfen, sich auf eine höhere Stufe stellen zu wollen. Aber in vielen Fällen werden die selbstlosen Motive gar nicht anerkannt, zum Teil auch, weil Altruisten oft glauben, anderen Menschen einen Dienst zu erweisen, das Zielpublikum jedoch daran gar nicht interessiert ist.

Ich würde sogar behaupten: Altruistisches Verhalten ist ein Zeichen von Unreife. Denn Altruisten haben meistens ein sehr leichtes Leben gehabt und nicht gelernt, dass es notwendig ist zu kämpfen, um seine eigenen Ziele zu erreichen.

Durch meinen Altruismus habe ich viele Jahre verloren. Denn ich habe mich aus altruistischen Motiven für ein Medizinstudium entschieden, obwohl mich Informatik schon damals mehr interessiert hätte. In meinen Augen ist es absolut falsch, die Interessen anderer Personen vor seine eigenen Interessen zu stellen. Wie es auch sprichwörtlich heißt: "Undank ist der Welten Lohn."

Wer selbstlos handelt, hat selbst weniger Erfolg im Leben! Das lässt sich damit begründen, dass sein Streben eben der Erfolg anderer Personen ist. Das eigene Wohlergehen wird dabei vernachlässigt. Tatsächlich sind auch diejenigen, die im Medizinstudium besonders erfolgreich sind, nicht Altruisten, sondern Karrieristen, also solche, denen es nur um das eigene Fortkommen geht. Diese Karrieristen werden irgendwann dann zum Teil selbst Lehrende an den Hochschulen, und so perpetuiert das System immer weiter.

Als ich zu Beginn meines Studiums histologische Bilder ins Internet stellte, glaubte ich, damit meinen Kommilitonen einen Dienst zu erweisen, denn diese Bilder konnten bei der Vorbereitung auf die Histologie-Prüfungen nützlich sein. Doch was für Reaktionen bekam ich darauf? Manche bedankten sich zwar, stärker in Erinnerung geblieben ist mir aber Kritik an der Qualität der Aufnahmen und die Bemerkung, wenn ich schon Bilder ins Netz stellte, so müssten diese auch hochauflösend und scharf sein. Dass meine Bilder kostenlos im Internet betrachtet werden konnten, während die Autoren der offiziellen Lehrbücher für ihre Werke Geld verlangten, war für die Studenten kein Argument dafür, mich milder zu behandeln. Und einer meinte, ich solle mich nicht "göttlicher als Gott" geben, womit er mein altruistisches Verhalten selbst im oben beschriebenen Sinne beanstandete.

Die meisten Menschen haben Probleme und müssen tagtäglich kämpfen, um durchs Leben zu kommen. Wenn man diese Probleme nicht hat, fehlt einem etwas im Leben. Viele fühlen sich dann bemüßigt, Anderen zu helfen. Offenbar ist das falsch. Was man aber stattdessen tun sollte, weiß ich nicht.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

The Demoscene

Digital Art Natives

Autobiographical Sketch