Asperger

Seit einigen Jahren wird nicht nur die Hochbegabung in den Medien immer wieder thematisiert (so bringt derzeit unter anderem Spiegel Online - wieder einmal - eine Serie zu diesem Thema), sondern auch ein Phänomen, das mit dieser in einer gewissen Beziehung steht, aber im Gegensatz zur allgemeinen Hochbegabung als Krankheit gewertet wird. Die Rede ist vom Asperger-Syndrom. Während man früher manche Leute bloß als ein bisschen eigen, introvertiert oder auch als "Freaks" bzw. "Nerds" bezeichnet hat, so gibt es nun einen handfesten Begriff, der gewisse dieser Charakterzüge beschreibt und sie zu einem Krankheitsbild erklärt. In Folge dessen müssen die Freaks von früher heutzutage immer öfter erleben, dass sie von Leuten (wohlgemerkt: meistens handelt es sich dabei um medizinische Laien!) als Asperger-Autisten bezeichnet werden.

Ob man jemanden einen "Freak" oder einen "Aspie" nennt, ist grundsätzlich ja eigentlich nicht von Belang. Das Problem ist nur, dass das Asperger-Syndrom eben eine Krankheit ist, beziehungsweise zumindest postuliert wird, dass es sich dabei um eine Krankheit handeln soll. Das bedeutet, dass die früher als Freaks Bezeichneten nicht bloß ein bisschen eigen, sondern sogar behandlungsbedürftig wären.

Das heißt im Prinzip, dass die Gesellschaft intoleranter geworden ist. Man nimmt nicht mehr zur Kenntnis, dass manche Leute halt ein bisschen anders als die meisten sind, sondern glaubt, dass diese Leute Bedarf an Heilung hätten. Dabei ist aber Krankheit ein subjektiver Begriff. Krankheit ist das Gegenteil von Gesundheit, und die WHO definiert Gesundheit als einen "Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens". So gesehen, ist auf der einen Seite kaum jemand völlig gesund; auf der anderen Seite aber könnte das, was im Volksmund nun als Asperger-Syndrom bezeichnet wird, im Einzelfall gar nicht zu einem derartigen Leidensdruck führen, dass der Betroffene dringend eine Behandlung benötigte.

Überhaupt ist aus meiner Sicht zweifelhaft, dass es sich beim Asperger-Syndrom um eine Krankheit handelt. Das Problem ist hauptsächlich, dass die Ursachen unbekannt sind. Postuliert werden Entwicklungsstörungen des Gehirns; doch mit bildgebenden Verfahren (CT, MRT) ist es bisher nicht gelungen, bei Asperger-Patienten irgendeine Abweichung in der Gehirn-Morphologie festzustellen, die im Vergleich zu "normalen" Menschen signifikant gehäuft wäre. Die Diagnose wird also rein symptomatisch gestellt. In diesem Zusammenhang muss man aber bedenken, dass die Psychiatrie auch ein Krankheitsbild namens "schizoide Persönlichkeitsstörung" kennt, das in seinen Symptomen dem Asperger-Syndrom ähnlich, aber - wie man annimmt - nicht durch eine Gehirnentwicklungsstörung bedingt ist. Die Differenzialdiagnose kann sich im Einzelfall sehr schwierig gestalten. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass häufig Fehldiagnosen erfolgen.

Die Frage ist aber auch, ob Ärzte überhaupt dazu qualifiziert sind, bei jemandem das Asperger-Syndrom zu diagnostizieren, handelt es sich doch in der medizinischen Ausbildung um ein absolutes Randthema, das in vielen Lehrbüchern der Neurologie und der Psychiatrie überhaupt nicht und im Rest nur am Rande, im Umfang von wenigen Absätzen, erwähnt wird.

Tatsächlich sind es, wie gesagt, meistens gar nicht Ärzte, die bei jemandem das Asperger-Syndrom diagnostizieren, sondern medizinische Laien, die in den Medien von dieser "Krankheit" erfahren haben. Rechtlich gesehen, ist die Diagnose durch Laien natürlich unzulässig. Das ändert aber nichts daran, dass Computerfreaks und andere Introvertierte mit stark ausgeprägten Spezialinteressen nun, den Medien sei "Dank", damit zu kämpfen haben, von ihren Mitmenschen als "Aspies" abgestempelt zu werden.

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