Einsamkeit

Wenn man ein Leitmotiv meiner Jugend benennen sollte, dann mag wohl Einsamkeit ein heißer Kandidat dafür sein. Nicht absolute, sondern relative Einsamkeit, hatte ich doch immer meine Eltern und auch außerhalb der Familie gewisse, wenngleich nicht allzu intensive soziale Kontakte. Aber insgesamt war ich weniger in gesellschaftliche Strukturen eingebunden, als es mir lieb gewesen wäre. Der Mensch ist doch ein Gesellschaftswesen - er fühlt sich nur dann wirklich wohl, wenn er mit anderen Menschen interagieren und irgendwie zu dieser Gesellschaft beitragen kann.

Bei mir war es so, dass ich als Einzelkind aufwuchs und nur eine kurze Zeit lang den Kindergarten besuchte. In der Volksschule hatte ich mit vielen Mitschülern ein gemeinsames Interesse an Computer- und Videospielen. Das war ein guter Anlass, um sozial zu interagieren. Jede Woche, manchmal sogar zweimal pro Woche, kam ein Großteil meiner (männlichen) Mitschüler zu mir, um gemeinsam Spiele auszuprobieren. In dieser Zeit war ich recht glücklich.

Aber am Gymnasium hatte ich dann nicht mehr diese intensiven sozialen Kontakte. Mit meinen Mitschülern dort konnte ich mich nicht so recht anfreunden. Sie hatten andere Interessen, in einigen Fällen hatte ich sogar den Eindruck, dass sie gar keine sonderlich ausgeprägten Interessen hätten (wie unlängst in diesem Blog ausgeführt). Dazu kam, dass sich manche mit den Berufen ihrer Eltern identifizierten und sich deswegen für besonders toll hielten. Als Sohn einer Volksschullehrerin und eines Ingenieurs hatte ich denen, die Kinder von Ärzten, Rechtsanwälten, Industriemanagern, Großunternehmern oder Universitätsprofessoren waren, nicht viel entgegenzusetzen. Anerkennung konnte ich einzig durch schulische Leistungen bekommen; in dieser Beziehung überragte ich freilich alle in meiner Klasse.

Hier begann also meine Einsamkeit. Die Schule wollte ich nicht wechseln, weil mir die Qualität des Unterrichts behagte und ich Sorgen trug, dass der Unterricht an anderen Schulen von geringerem Niveau wäre. Nicht umsonst galt ja das Gymnasium, das ich besuchte (das Goethe-Gymnasium in der Astgasse im 14. Wiener Gemeindebezirk, unweit der Grenze zum Nobelbezirk Hietzing), ja als eine Art Eliteschule (wenn auch nicht ganz so elitär wie etwa das Theresianum oder das Schottengymnasium). So musste ich eben in Kauf nehmen, dass ich all die Jahre zwar viel lernte, aber kaum Leute kennenlernte, mit denen ich mich gut verstand.

Nur allzu gern hätte ich gemeinsam mit anderen Schülern eigene Computerspiele entwickelt. Programmieren konnte ich schon in der gymnasialen Unterstufe recht gut. Ich hatte auch zahlreiche Ideen für Spiele und einige dieser Ideen in Form von Skizzen ausgearbeitet. Aber es gab in unserer Klasse niemanden, der wirklich gut zeichnen konnte, was für die Entwicklung von Computerspielen essenziell gewesen wäre. Einzig einen an Musik interessierten Schüler, der sich auch ein wenig in Komposition versuchte, hatten wir, aber von den Techniken zur Erzeugung von Musik auf dem Computer, die für die Entwicklung von Computerspielen relevant gewesen wären, hatte er zumindest damals noch keine Ahnung. Überhaupt hatte ich den Eindruck, dass den meisten meiner Klassenkameraden die Schule so schwer fiel, dass sie kaum Zeit fanden, sich über den in der Schule vermittelten Stoff hinaus weiterzubilden. Das wäre aber die Grundvoraussetzung gewesen, um gemeinsam an ernsthaften Projekten arbeiten zu können.

So kam es nur dazu, dass wir eine Schülerzeitung herausgaben. Dabei blieb aber die meiste Arbeit an mir hängen, die anderen Redakteure steuerten nur wenig bei und ließen sich oft bei anderen Artikeln, zu denen sie nichts beigetragen hatten, als Co-Autoren dazuschreiben. Ich war über diese mangelnde Ernsthaftigkeit meiner Kollegen unglücklich. Nach drei Ausgaben gab ich auf.

August 1995 fing dann meine Laufbahn in der Computer-Szene an. Ich korrespondierte ab damals fast nur mehr per Post und später per E-Mail und Internet Relay Chat mit Leuten aus Deutschland, der Schweiz und anderen europäischen, zum Teil auch außereuropäischen Ländern. Meine Mitschüler spielten für meine Freizeitaktivitäten keine Rolle mehr. Alles erfolgte mehr oder weniger virtuell. Den meisten meiner damaligen Freunde und Mitarbeiter begegnete ich nie persönlich. Es ergab sich letzten Endes, dass ich wiederum eine Zeitschrift herausgab, aber diesmal eben nicht eine typische Schülerzeitung, sondern ein wesentlich umfangreicheres Magazin, das in elektronischer Form verbreitet wurde und auf der ganzen Welt Leser fand.

Moralisch wurde ich dabei vor allem von meinem Vater unterstützt. Er setzte sich oft neben mich, wenn ich an meiner Zeitschrift arbeitete oder mit Mitarbeitern kommunizierte. Auf den Inhalt der Zeitschrift hatte er kaum Einfluss, außer auf gelegentliche politische Artikel, die durch seine Initiative entstanden und meistens eher seine als meine eigene Meinung widerspiegelten. Politik war in meiner Zeitschrift aber immer nur ein Randthema, meistens ging es eben um Computer und digitale Kunst. Einen größeren Einfluss hatte mein Vater auf meine Kommunikation mit Mitarbeitern; er achtete stets darauf, dass ich nicht nur knapp und "buchhalterisch" schrieb, worum es ging, sondern immer auch einige persönliche Worte beifügte, weil er das für wichtig hielt, um die zwischenmenschliche Beziehung aufrecht zu erhalten. Insgesamt möchte ich sagen, dass es in meinen Augen gar nicht gut war, dass er gewisse Dinge "auszubügeln" versuchte, weil man doch mehr lernt, wenn man wirklich frei agieren kann und deswegen unter Umständen ab und zu auch auf die Nase fällt - wie Einstein sagte: Wer nie einen Fehler gemacht hat, hat nie etwas Neues ausprobiert. 

Meine Mutter meinte einmal, Jugendliche würden sich normalerweise mit anderen Jugendlichen umgeben und gemeinsamen Interessen nachgehen; ich würde es halt mit meinem Vater machen. Sicher hat es auch Vorteile, wenn man väterlichen Rat bekommt - mein Vater ist schließlich vierzig Jahre älter als ich und hat somit sicherlich viel mehr Lebenserfahrung. Insgesamt war ich aber sehr unglücklich darüber, dass ich hier in Wien keine annähernd Gleichaltrigen kannte, mit denen mich gemeinsame Interessen und die nötige Ernsthaftigkeit, diese Interessen konsequent zu verfolgen, verbunden hätten.

Das Studium der Medizin schließlich war überwiegend ein Fernstudium. Nur in den ersten zwei Jahren hatte ich noch Kontakt zu einigen Studienkollegen, mit denen ich mich in Vorlesungen und Praktika traf. Dann verlief sich alles, vor allem deswegen, weil die Leute in unterschiedlichem Tempo mit ihrem Studium vorwärts kamen und man sehr viel - eigentlich sogar fast alles - aus den Büchern lernen musste. Man hatte nicht viel Zeit für soziale Interaktionen und erst recht nicht für Projekte, wie sie mir vorschwebten. Andererseits aber war ich während des Studiums in einigen Vereinen aktiv: zuerst bei der Österreichischen Medizinerunion, in der ich mich aber nicht allzu wohlfühlte, dann in der Mensa und im Club Biotech, Jahre später auch bei den Jungen Liberalen. Es gab nur gelegentliche Treffen, die meiste Kommunikation erfolgte über Internetforen bzw. Facebook. 

Durch diese Vereine hatte ich wenigstens während des Studiums soziale Kontakte hier in Wien, mit denen man sich treffen und Gedanken austauschen konnte. Insgesamt bin ich aber der Meinung, dass es bedauernswert und vor allem meiner Persönlichkeitsentwicklung abträglich war, dass ich während fast der gesamten Gymnasialzeit nicht über solche Kontakte verfügte.

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