Lebenserfahrungen

Manche Menschen mögen schon Recht haben, wenn sie sagen, dass sie Erfahrungen in ihrem Leben gemacht haben, die ich (noch) nicht gemacht habe. Umgekehrt gilt es aber auch. Vor allem habe ich durch mein Medizinstudium die Erfahrung gemacht, was es heißt, jemandem ausgeliefert zu sein, dem man selbst egal ist. Denn die Professoren an der Medizinischen Universität prüfen nur, weil es ihre Pflicht ist. Welche Note sie dem einzelnen Kandidaten geben, ist für sie ohne Konsequenzen. Wenn sie schlecht gelaunt sind, können sie den Studenten so streng prüfen, dass er versagt und durchfällt, auch wenn er noch so gut vorbereitet ist. Das alles hat für sie keine Konsequenzen, die Universität ist im Streitfall eher auf ihrer Seite. Ein Student muss schon wirklich das Kind einer besonders einflussreichen Persönlichkeit sein, damit die Prüfer Angst davor haben könnten, ihn ungerecht zu beurteilen, und er selbst keine Furcht vor der Prüfung haben muss.

Das ist anders als in der Schule. In der Schule hatten wir doch überwiegend engagierte Lehrer, die ihren Beruf ernst nahmen. Ihnen war daran gelegen, den Schülern etwas beizubringen. Die Schüler waren ihnen nicht egal. Die Noten betrachteten sie auch als Feedback über die Qualität des Unterrichts. Aber gut, vielleicht hatte ich das Glück, eine ungewöhnlich gute Schule besucht zu haben. Jedenfalls bin ich mir sicher, dass ich nicht der Einzige bin, der erst nach der Schullaufbahn die Erfahrung des Ausgeliefertseins gemacht hat, und dass viele in ihrem ganzen Leben keine vergleichbare Erfahrung gemacht haben.

Mir ist jedenfalls auch klar geworden, dass es nicht nur einige wenige Menschen gibt, für die Religion eine besondere Bedeutung hat, sondern sogar sehr viele. Religion gibt eine scheinbare Sicherheit in einer Welt voller Unsicherheiten. Damit hat Religion eine ähnliche Funktion wie Intelligenz, denn auch Intelligenz erlaubt es in begrenztem Umfang, Voraussagen über die Zukunft zu machen. Der in der Bevölkerung verbreitete Glaube daran, dass alle Erfolge und Misserfolge auf die Intelligenzhöhe eines Menschen zurückzuführen seien, ist nicht zuletzt auch eine Art Religion.

Man bedenke zudem, dass Freiheit eine Illusion ist. Die Marxisten haben vielleicht gar nicht so unrecht, wenn sie sagen, dass Freiheit die Einsicht in eine Notwendigkeit sei; denn de facto ist es doch oft so, dass wir von Gesetz wegen zwar die freie Wahl hätten, doch eine der beiden Optionen mit derartigen Nachteilen verbunden wäre, dass sie praktisch ausscheidet. Es ist also eine Quasi-Notwendigkeit, sich für die andere Option zu entscheiden. Ein Beispiel ist die Entscheidung, ob man nach Absolvieren der Schulpflicht weiter in der Schule bleibt und für die Matura lernt oder ob man die Schule abbricht. Die Schule abzubrechen ist zwar eine mögliche Option, doch ist sie mit so vielen Nachteilen verbunden, dass sich jeder einigermaßen vernünftige Mensch für den weiteren Schulbesuch entscheidet. Genauso ist es mit dem Abbruch eines Studiums und mit vielen anderen Dingen im weiteren Leben eines Menschen.

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