Liberalismus und Religiosität

Der Zusammenhang zwischen der politischen Einstellung und der Religion eines Menschen ist sicherlich ein interessantes Thema für die empirische Sozialforschung. Ich bin aber weder Sozio- noch Politologe und werde deswegen nur einige theoretische und teilweise eher subjektive Überlegungen anstellen. Zudem werde ich mich auf die politische Richtung des Liberalismus beschränken, weil ich hauptsächlich Menschen kenne, die dieser Denktradition nahe stehen.

Den Begriff Liberalismus habe ich bereits in [1] definiert, ergo werde ich dies an dieser Stelle nicht nochmals tun. Ich bitte daher den geneigten Leser, kurz meinen früheren Artikel anzulesen, bevor er mit diesem Artikel fortsetzt.

Ich machte im Laufe der Jahre die Erfahrung, dass manche Liberale keineswegs Religionen gegenüber grundsätzlich skeptisch und so "freidenkerisch" eingestellt sind, wie ich es bin. Das war für mich interessant, denn ich hatte Anderes angenommen. Im folgenden Text werde ich darlegen, worin meiner Vermutung nach die Gründe für diese Religiosität mancher Liberaler bestehen. Zunächst aber noch zu meinem eigenen Hintergrund.

Ich selbst bin nicht religiös und entstamme einem Elternhaus, in dem Religion so gut wie keine Rolle gespielt hat. Ich wurde daher auch nicht religiös erzogen, wurde nicht getauft, und in meinen Schulzeugnissen findet sich seit jeher der Eintrag: "Religiöses Bekenntnis: ohne religiöses Bekenntnis". Mein Vater ist ebenfalls konfessionslos, nur meine Mutter wurde katholisch getauft, doch ich empfand sie nie als tief religiös. Meiner Mutter zuliebe feierten wir zwar jedes Jahr Weihnachten und aßen zu Ostern gefärbte Eier, aber das waren auch schon alle Handlungen, die im entferntesten Sinne mit Religion zu tun hatten. Weder gingen wir je in die Kirche noch beschäftigten wir uns mit irgendwelchen religiösen Lehren. Zu Hause haben wir tausende Bücher, aber die Bibel ist nicht darunter.

Statt einer Religion lehrte mich mein Vater von klein auf den Kritischen Rationalismus Karl Poppers, und er brachte mir auch Verschiedenes über die Philosophie des Marxismus-Leninismus bei, von der er recht viel Ahnung hatte, wenngleich er ihr kritisch gegenüberstand. Meine Mutter hielt sich mit Äußerungen über weltanschauliche Fragestellungen zurück.

Ich bin somit nicht religiös geprägt; anders als bei vielen Religiösen gibt es bei mir daher keine religiösen Vorstellungen, an die ich mich zwanghaft klammere und nach denen ich mein Leben ausrichte. In unserer Familie galt lediglich das Streben nach Bildung als oberste Tugend; und dieses Streben entsprach auch meinem Naturell. Somit tat ich nie etwas aus Zwang, sondern immer aus eigenem, aber keineswegs religiös motivierten Antrieb.

Als Jugendlicher fand ich, dass die Lehre des Liberalismus recht gut zu meiner Lebenseinstellung passte, und während meines Studiums begann ich, mich näher mit der Ideengeschichte und der Umsetzung dieser Denktradition zu befassen. Der Liberalismus wurde für mich somit zu einer Art Ersatzreligion, allerdings zu einer sehr großzügigen Ersatzreligion, die sehr viele Freiräume und Interpretations-Spielräume zuließ. Außer Popper, den ich schon durch meinen Vater kannte, wurde nun auch Ludwig von Mises zu einem meiner liebsten Denker. Bei Karl Marx, dem Begründer des Kommunismus und somit eher einem großen Gegner des Liberalismus, gefielen mir einige Sachen gut, andere weniger, und statt Marx gänzlich zu verteufeln, wie es manche politisch eher rechts stehende Menschen tun, betrachte ich mich selbst als Eklektiker, der an jedem Denker etwas Gutes findet und das, was ihm passt, in sein eigenes Weltbild aufnimmt.

Nun sind viele im liberalen Lager tatsächlich, ähnlich wie ich selbst, nicht religiös, manche sogar stark atheistisch. Nicht umsonst engagierten sich führende Vertreter der Jungen Liberalen (JuLis) unlängst auch im Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien. Aber es gibt auch Liberale, die gleichzeitig Anhänger einer Religion sind. Wie das zusammen passe, darauf habe ich mir einen Reim gemacht.

Beginnen wir zunächst beim Liberalen Forum (LIF). Das Liberale Forum wird in den Medien ja häufig als die Partei der Homosexuellen und der Drogenkonsumenten dargestellt. Was jedoch von den Medien regelmäßig verschwiegen wird, aus welchen Gründen auch immer, ist die Tatsache, dass im Liberalen Forum vor allem zwei ethnische Minderheiten stark überrepräsentiert sind: die Kärntner Slowenen auf der einen Seite und die Juden auf der anderen Seite. Wenn man sich ansieht, wer alles in den letzten Jahren im Liberalen Forum Spitzenfunktionen eingenommen hat, wird man feststellen, dass beide Gruppen sehr stark vertreten waren und es nach wie vor sind. Nun sind natürlich die Kärntner Slowenen keine religiöse Minderheit, die Juden aber sehr wohl. Warum finden sich gerade beim Liberalen Forum verhältnismäßig so viele Juden?

Die Antwort liegt meiner Meinung nach auf der Hand: weil das Liberale Forum die einzige bürgerliche Partei Österreichs ist, in der Juden willkommen sind. Die größte bürgerliche Partei Österreichs, die Österreichische Volkspartei (ÖVP), ist ja eine katholische Partei. Wer nicht Katholik ist, wird vielleicht an der Parteibasis geduldet werden, aber es schwer haben, innerhalb der Parteihierarchie aufzusteigen. Und die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) wird ja aus gutem Grunde von Menschen jüdischer Herkunft mit Argwohn beäugt. Sonst gab es, bis zur Gründung von Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) und Team Stronach, ja keine nennenswerten bürgerlichen Parteien. Viele Juden engagierten sich daher in erster Linie bei der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ), manche auch bei den Grünen. Für eher bürgerlich gesinnte Juden war dann das Liberale Forum eine willkommene politische Heimat.

So gesehen, sind möglicherweise manche im Liberalen Forum selbst gar nicht so liberal (wohlgemerkt: das müsste man in jedem Einzelfall überprüfen, darüber kann man kein allgemein gültiges Urteil fällen), sondern einfach Bürgerliche, die aus verschiedenen Gründen bislang keine politische Heimat hatten.

Interessant ist aber auch, dass es auch Anhänger der katholischen Mehrheitsreligion gibt, die sich dem Liberalismus nahe stehend fühlen. Manche davon sind sogar radikal-liberal und bezeichnen sich selbst als libertär. Was mag einen Katholiken dazu führen, sich dem Liberalismus zuzuwenden? Wäre er nicht in der ÖVP gut, vielleicht sogar besser, aufgehoben?

Ich vermute, dass diese Leute eine spezielle Art von Liberalismus vertreten, die fast schon in Richtung Sozialdarwinismus geht. Aber nicht in Richtung eines biologistischen, sondern eines ethischen Sozialdarwinismus in dem Sinne: Wer moralisch richtig lebt, soll belohnt werden; wer moralisch falsch lebt, der soll dahinscheiden. Das erinnert an die calvinistische Variante des Protestantismus, in der sich ja während des irdischen Lebens erweist, wer ein guter Mensch ist und im Jenseits ins Paradies kommen wird. Der Calvinismus ist eine moralisierende Religion, aber er predigt nicht Altruismus, sondern Eigennutz. Insofern scheint mir der Liberalismus für calvinistisch geprägte Menschen attraktiv zu sein. Natürlich ist Calvinismus nicht katholisch, sondern protestantisch, aber es mag da auch gewisse Schnittmengen geben.

[1] C. Volko (2012): Liberalismus versus Sozialdarwinismus

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