Sozialisation

Im Political Compass hat sich heute wieder gezeigt, dass meine Ansichten als "sehr liberal" zu klassifizieren sind; und auch einige meiner ehemaligen Mitschüler vom Gymnasium haben in dieser Hinsicht sehr ähnlich abgeschnitten wie ich. Ich vermute, dass meine liberalen Ansichten auf meine Sozialisation am Gymnasium zurückzuführen sind. Auch wenn ich mich in meiner Klassengemeinschaft nicht immer ganz wohl gefühlt habe, hat sie mich dennoch geprägt, und - Hand aufs Herz - meine ehemaligen Klassenkameraden gehören ganz bestimmt zu den angenehmsten Menschen, denen ich je begegnet bin und denen ich aller Voraussicht nach jemals begegnen werde.

Jedenfalls mögen meine liberalen Einstellungen auch Grund sein, warum ich nie einer Studentenverbindung beigetreten, sondern statt dessen zur Mensa gegangen bin. Denn die Studentenverbindungen sind hierzulande meist eher konservativ. Da hätte ich nicht hineingepasst. Bei der Mensa fand ich hingegen reizvoll, dass da jeder Mitglied werden kann, der in einem Intelligenztest gut abgeschnitten hat, egal wer er ist. Aber diese Unterschiedlichkeit der Herkunftmilieus der einzelnen Mensa-Mitglieder hat durchaus zu Konflikten geführt. Viele Mensaner sind auch gar nicht liberal. Manche haben den kleinbürgerlichen "Leistungsgedanken" verinnerlicht, dass man ständig in erster Linie ans Geldverdienen denken müsse, und halten alle, die nicht so denken, für "Schmarotzer". Diese Leute sind für mich das Problem Nummer eins innerhalb der Mensa. Aber es gibt auch durchaus idealistisch(er) verlangte und teilweise hochgebildete Mensa-Mitglieder.

In diesem Zusammenhang ist mir bezüglich der oft gehörten Forderung, man solle möglichst schnell studieren, auch noch eines klar geworden: Es ist scheinheilig, wenn jemand sagt, dass einer, der bis 30 studiert hat, nichts Besonderes sei, weil "jeder Trottel" mit 30 Akademiker werden könne. In Wirklichkeit stellen diejenigen, die relativ lange studiert haben, nicht deswegen eine Gefahr dar, weil sie blöd sind, sondern weil man zu Recht annehmen kann, dass diese Leute weit über den Tellerrand hinausgeblickt und Kenntnisse erworben haben, die es aus Sicht der potenziellen Arbeitgeber bessser wäre, nicht zu haben. Etwa über Dinge, wie die Welt wirklich funktioniert, anstelle des Scheinwissens, das man durch unsere Bildungsinstitutionen vermittelt bekommt. Arbeitgeber hätten lieber Mitarbeiter, die zwar das können, wofür sie gebraucht werden, aber ansonsten eher naiv sind. Wichtig ist in erster Linie die Austauschbarkeit der Mitarbeiter, damit man unliebsame Zeitgenossen leicht entsorgen kann. Starke Persönlichkeiten oder gar "Universalgelehrte" sind etwas, an dem keine Firma interessiert ist. Deswegen - und meiner Meinung nach nur deswegen - werden Langzeitstudenten verabscheut.

Es ist auch so, dass es vom kleinbürgerlichen Hegemon hierzulande und auch anderswo gewünscht wird, dass man ständig einer Beschäftigung nachgeht und möglichst keine Auszeiten einlegt, damit man nicht auf "blöde" Gedanken kommt. Auch hier ist das Wort "blöd" ein Euphemismus, denn das Problem sind nicht wirklich dumme Gedanken, sondern eher grundvernünftige Gedanken, durch die jedoch die Autorität des Hegemons und dessen Weltbild, das er allen Bürgern dieses Landes oktroyieren will, in Frage gestellt werden.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

The Demoscene

Digital Art Natives

Autobiographical Sketch