Gedanken zu Pathophysiologie und Medizin

Ich persönlich finde, dass die Pathophysiologie (oder Funktionelle Pathologie) die eigentliche beziehungsweise wichtigste Grundlage der Klinischen Medizin darstellt. Für viele meiner Studienkollegen war dieses Fach, das bei uns Pflicht war, ein Problemfach, und viele sind auch nur "irgendwie" durch die zugehörige Prüfung gekommen. Ich finde, dass dieses Fach sehr wichtig ist und aus diesem Grund jeder Mediziner sich damit gründlich beschäftigen sollte.

Die Pathophysiologie unterscheidet sich von der Physiologie dadurch, dass die Physiologie die Funktion des gesunden menschlichen Organismus beschreibt und die Pathophysiologie eben die Mechanismen, wie Krankheiten und sonstige Abnormität entstehen können.

Im Prinzip dient die Lehre in sämtlichen Fächern des ersten Studienabschnitts (Chemie, Physik, Biologie, Biochemie, Anatomie, Histologie, Physiologie) nur zur Vorbereitung dazu, dass man sich im zweiten Abschnitt mit der Pathophysiologie gründlich beschäftigen und den Stoff auch gut verstehen kann. All die Fächer des ersten Studienabschnitts stellen die Grundlagen dar, die man für das Verständnis der Pathophysiologie braucht. Die Pathophysiologie bildet zusammen mit der Pharmakologie die Theoretische Medizin. Im dritten Abschnitt lernt man dann, wie die Erkenntnisse der Theoretischen Medizin in der ärztlichen Praxis angewendet werden.

Grundsätzlich wird in der medizinischen Praxis in der Regel von bestimmten Symptomen auf bestimmte Krankheiten geschlossen. Diese Krankheiten werden dann entsprechend dem Lehrbuch behandelt.

Manche Kliniker mögen dabei bisweilen zu wenig an die Grundlagen aus der Pathophysiologie denken. Was in der Praxis oft gemacht wird, ist eben, dass aufgrund der Symptome eine Diagnose gestellt wird, aber nicht immer bedenkt man, wie die Symptome überhaupt zu Stande kommen und welche Konsequenzen das für die Therapie haben könnte.

Im Prinzip ist die Diagnosestellung zwar aus rechtlichen Gründen wichtig (die Krankenkassen wollen eine kurze und prägnante Diagnose haben, weil diese entscheidend dafür ist, wie viel sie bezahlen müssen), aber intellektuell gesehen handelt es sich um einen verkürzten Prozess. Tatsache ist, dass jeder Krankheitsfall ein bisschen anders ist. Intellektuell redlich wäre es, von den Symptomen nicht gleich auf eine kurze und prägnante Diagnose zu schließen, sondern zunächst einmal über die pathophysiologischen Prozesse nachzudenken, die sich da offenbar im Patienten abspielen. Dann kann man nämlich auch auf rationaler Basis Überlegungen anstellen, wie man die Krankheit behandeln könnte - beziehungsweise in manchen Fällen auch, ob eine Behandlung überhaupt nötig wäre. Viele Infektionskrankheiten beispielsweise sind ja eigentlich selbstlimitierend, wenn der Patient über ein gutes Immunsystem verfügt. Da müsste man dem Patienten eigentlich gar keine Medikamente verabreichen, sondern ihm einfach sagen, dass er sich einige Tage lang nicht anstrengen soll, bis die Symptome abgeklungen sind. Allenfalls bei bakteriellen Infektionen könnte es sinnvoll sein, Antibiotika zu geben, die dem Immunsystem helfen würden, die bakteriellen Erreger zu beseitigen. In manchen Fällen werden aber auch Medikamente gegeben, die eigentlich nur die Symptome bekämpfen und nicht die eigentliche Krankheitsursache. Das mag unter Umständen sogar kontraproduktiv sein. Ein in Pathophysiologie gut ausgebildeter Arzt würde das wissen.

Es ist halt auch zu bedenken, dass die WHO Krankheit vielleicht etwas anders definiert, als dies von vielen Menschen betrachtet wird. Krankheit hat nach der WHO damit zu tun, dass sich der Patient nicht wohlfühlt. Somit ist Krankheit eine subjektive Angelegenheit. Es kann im Prinzip auch sein, dass ein Patient beispielsweise im Beruf nicht die Leistungen erbringt, die von ihm erwartet beziehungsweise verlangt werden. Dennoch muss dieser Patient deswegen nicht unbedingt "krank" sein.

Sicher, nach der WHO-Definition sind es die Symptome, die dem Patienten Unwohlsein bereiten und daher Krankheitswert haben. Wenn jemand müde und kraftlos ist, dann ist das sicher etwas, das das normale Funktionieren des Organismus beeinträchtigt. Dennoch ist aus pathophysiologischer Sicht aber zu sagen, dass diese Symptome eigentlich oft Mechanismen des Organismus sind, um mit tatsächlich ernsten Bedrohungen, wie in den Organismus eingedrungenen Bakterien oder Viren, fertig zu werden. Die Symptome stören den Menschen, und sicher, er mag auch in seinem Aktionsradius beeinträchtigt werden. Er mag aufgrund von Müdigkeit und Kraftlosigkeit beispielsweise für einige Tage nicht arbeitsfähig sein. In Wirklichkeit sind diese Symptome aber nicht die eigentliche Gefahr für den Organismus, sondern Mechanismen, um die Gefahren abzuwenden, beziehungsweise zum Teil auch Seiteneffekte solcher Mechanismen. Man könnte sagen, der menschliche Organismus befinde sich in einem Ausnahmezustand. Er ist gefährdet, das stimmt, aber nicht wegen der Müdigkeit oder der Kraftlosigkeit, sondern wegen der eingedrungenen Krankheitserreger, die das Genom des Organismus und damit dessen Funktion verändern und unter Umständen auch Krebs auslösen könnten. Sicher, wenn man das Ganze mit der Politik vergleicht, dann hat ein Ausnahmezustand, auch wenn es sich dabei primär um eine innere Angelegenheit des jeweiligen Landes handelt, schon auch Auswirkungen auf die Fähigkeit, das Land gegen Angriffe von außen zu verteidigen. Natürlich hat ein Mensch, dessen Organismus sich in einem Ausnahmezustand befindet, unter Umständen auch soziale Probleme, beispielsweise weil er nicht arbeitsfähig ist. Ein Land im Ausnahmezustand trägt ein größeres Risiko, vom Ausland angegriffen zu werden.

Wie gesagt, ich fand das Fach Pathophysiologie (oder Funktionelle Pathologie) in meinem Studium sehr interessant und sehr wichtig. Ich bin der Meinung, dass die Lehre in diesem Fach sogar noch ausgeweitet und intensiviert werden sollte. Dazu kommt, dass es sich um ein Fach handelt, das auch zum selbstständigen Nachdenken und zum Bilden eigener Hypothesen anregt. Das sollte man ausnützen und nicht nur einfach auswendig gelerntes Wissen abprüfen, sondern die Studierenden auch zum eigenständigen Nachdenken auffordern und über diese Hypothesen diskutieren und sie sowohl aus logischer als auch aus empirischer Sicht zu analysieren. So wäre das Medizinstudium meiner Träume, ein Medizinstudium, wie ich es mir vorstellen würde und immer gewünscht habe.

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