Allegorie über die menschliche Hybris

Der Ueberreuter-Verlag veranstaltete in den 1980er Jahren einen Wettbewerb, in dem es darum ging, Science-Fiction-Kurzgeschichten zu schreiben. Ich habe als Kind den Sammelband der für diesen Wettbewerb verfassten Geschichten gelesen. Eine Geschichte ist mir besonders in Erinnerung geblieben:

Die Geschichte handelte von einem hochentwickelten Volk von Wesen, die optisch gewöhnlichen Hühnern ähnlich sahen, aber die kognitive Begabung von Menschen aufwiesen. Diese intelligenten Hühner lebten auf einem fernen Planeten. Ihre Technik war aber schon so weit entwickelt, dass sie in der Lage waren, das Universum zu erkunden. Dabei stießen sie auf den Planeten Erde. Diesen beobachteten sie über Monate hinweg aus der Ferne. Sie erkannten, dass dort eine Spezies lebte, eben wir Menschen, welche die Besonderheit aufwies, dass ihre Angehörigen zu verschiedenen Anlässen den Mund aufzumachen pflegten, selbst wenn sie nichts aßen. Da die Hühner nicht wie wir kommunizierten, sondern mit Hilfe von technischen Geräten, wunderten sie sich, warum die Menschen den Mund aufmachten, obwohl sie nichts aßen. Das war eines der großen Rätsel. Die andere Sache war, dass diese Menschen offenbar Hühner in Ställen hielten. Die intelligenten außerirdischen Hühner wunderten sich, wie ihre irdischen Artgenossen bereit sein konnten, sich einfach so einsperren zu lassen. Über die kognitive Begabung der Menschen herrschte die Ansicht vor, dass die Menschen in der Lage seien, Lebewesen und Gegenstände zu klassifizieren und ihnen Namen zu geben, aber sonst sei es mit der kognitiven Begabung der Menschen nicht weit her. Nun beschloss eines der intelligenten Hühner, ein hochrangiger, hochgebildeter Wissenschaftler, eine Expedition zur Erde zu wagen, um die Menschen aus der Nähe zu erkunden und auf diese Weise neue Erkenntnisse zu gewinnen. Das Ergebnis des Ganzen war, dass er von einem Menschen in einen Hühnerstall eingesperrt wurde. Erst dann erkannte er, dass die Menschen erstens nicht so blöd waren, wie er geglaubt hatte, und zweitens, dass die auf der Erde lebenden Hühner nicht so intelligent waren wie seine außerirdischen Artgenossen.

Diese Geschichte hat mir sehr gut gefallen, weil sie eine Persiflage auf die menschliche Hybris darstellte. Erstens habe ich ja selbst den Eindruck, dass Menschen dazu neigen, ihre eigene kognitive Begabung beziehungsweise die kognitive Begabung ihrer Spezies zu überschätzen und die kognitive Begabung von Tieren zu unterschätzen. Zweitens passt die Aussage dieser Geschichte gut zu der Arroganz, die Europäer im Umgang mit indigenen Völkern an den Tag legten. Man hielt etwa die Azteken früher für primitiv, erst im Laufe der Zeit kam man darauf, zu welchen Erkenntnissen die Azteken etwa auf dem Gebiet der Mathematik gelangt waren - Erkenntnisse, die man bis dahin nur dem europäischen Geist zugetraut hatte.

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