Kreativität erfordert nicht viel Wissen

Ich habe mich bereits über die Fragestellung geäußert, ob es so eine gute Sache sei, ein Kind, das offenbar begabt ist, dazu zu zwingen, möglichst viel zu lernen, in der Hoffnung, dass es etwas aus seiner Begabung mache.

Ich habe nie einen Hehl aus meiner Abneigung gegenüber dem reinen Auswendiglernen gemacht, und es erfüllt mich mit Genugtuung, dass zwei, die mir als Jugendlicher die größten Vorbilder waren, nämlich Popper und Einstein, über diese Sache ähnlich dachten; Popper widmete ihr sogar seine Dissertation.

Die Problematik ist jedoch, dass unser System vorsieht, dass man in gewissen Bahnen arbeitet. Wenn ich etwas in meinem persönlichen Weblog publiziere, mag das vielleicht gelesen werden, gilt aber dennoch als unveröffentlicht; veröffentlicht ist nur das, was in einer wissenschaftlichen Zeitschrift abgedruckt ist. Ich kann also noch so viele kluge Gedanken informell niederschreiben, eine Habilitation bekomme ich dafür nie.

Um in diesem System fortzukommen, genügt es aber nicht, kluge Gedanken zu fassen oder gar genial zu sein; es reicht, etwas über dem Durchschnitt begabt zu sein, in erster Linie braucht man aber Disziplin und Glück. Man muss das Studium schaffen, was keine Selbstverständlichkeit ist; man muss es schnell schaffen, am besten innerhalb der Regelzeit, und mit möglichst guten Noten; denn an Universitäten findet man nur schwer eine Anstellung, wenn man ein gewisses Alter bereits überschritten hat, unabhängig davon, was die Gründe dafür sein mögen. Dann braucht man die Zuneigung eines Mentors bzw. Doktorvaters, damit nach der Promotion eine Anstellung als Assistenz in Erwägung gezogen wird; erst wenn man jahrelang seine Loyalität bewiesen hat, gelangt man eines Tages vielleicht in eine Position, wo man als Professor auch eine gewisse Gestaltungsfreiheit hat.

Mir hat niemand je gesagt, wie man Professor wird; ich habe es selbst herausfinden müssen. Dass meine Eltern auf einem Medizinstudium bestanden, war freilich aus dieser Sicht keine gute Sache; denn selbst wenn ich mich bemühe, mir einzureden, dass mich irgendein Teilgebiet der Medizin interessierte, ich finde keines dergleichen. Da hätte ich vielleicht besser daran getan, ich hätte Philosophie studiert - das gilt ja im Allgemeinen als brotlose Kunst, aber man kann auch darin eine Hochschulkarriere machen, und als Professor für Philosophie würde ich sicherlich eine wesentlich bessere Figur machen denn als Professor für Medizin; dass die Chancen auf eine Professur nach einem abgeschlossenen Philosophiestudium gering sind, dessen bin ich mir freilich bewusst.

Aber muss man denn unbedingt im System arbeiten? Ich finde es schade, dass viele junge Menschen offenbar kein Interesse haben, ihre Gedanken im Internet preis zu geben, aus Angst, in ihrer Karriere benachteiligt zu werden. Während es tausende Universitätsprofessoren gibt, hat es jedenfalls nur einen Main Editor vom Hugi Magazine gegeben und insgesamt auch nur wenige andere Diskmag-Herausgeber, schon gar nicht in Österreich.

Es mag sein, dass andere junge Menschen weniger Idealismus haben als ich; mich hat Finanzielles in der Tat nicht interessiert, bis ich selbst zu arbeiten anfing. Das mag vielen befremdlich erscheinen, aber ich war eben naiv zu glauben, dass es eine Selbstverständlichkeit ist, Eltern zu haben, die ein regelmäßiges Einkommen erwirtschaften und um ihre Anstellung nicht zu zittern haben.

Wer viel liest, mag vielleicht auf diese Weise zu Erkenntnissen gelangen, die anderen in seinem Alter noch verborgen geblieben sind. Die Frage ist jedoch, ob er dieses Wissen auch in einem kreativen Prozess einsetzen kann. Wenn ich daran denke, wie viel ich als Volksschulkind und als Schüler der gymnasialen Unterstufe geschaffen habe, obwohl ich nur einen begrenzten geistigen Horizont hatte, und wie wenig mir all das Wissen, das ich seitdem teils gezwungenermaßen, teils freiwillig angehäuft habe, genützt hat. Insgesamt scheint mir das gesamte Bildungssystem in dieser Form völlig unnötig und kontraproduktiv zu sein, wenn es darum geht, Erzeugnisse von hoher Originalität hervorzubringen.

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