Biografien

Früher habe ich sehr gerne Biografien gelesen; ich glaubte, auf diese Weise auch Lehren für meine eigene Lebensführung ziehen zu können. Allerdings bin ich inzwischen darauf gekommen, dass sich die Welt doch verändert hat und das, was in den Biografien von großen Männern steht, die vor hundert Jahren gelebt haben, nur bedingt auf heutige Verhältnisse übertragbar ist.

Dazu kommt, dass Biografien für gewöhnlich beschönigend ist; das, was peinlich sein oder jemandem zum Vorwurf gemacht werden könnte, wurde meistens weggelassen. Was auch fehlt, ist die Tatsache, dass große Persönlichkeiten in der Regel nur deswegen so groß geworden sind, weil sie einen oder mehrere Förderer hatten, manche - wie Einstein - sogar eine ganze Lobby. Wenn man zum Beispiel Karl Popper hernimmt, muss man auch feststellen, dass er ja von Berufs wegen Philosoph war; erst die relative Sicherheit einer festen Anstellung an der Universität hat ihm die Möglichkeit gegeben, seine erkenntnistheoretischen Überlegungen und seine Gedanken zur politischen Philosophie zu entwickeln. All diese Leute, über die Biografien geschrieben worden sind, waren mehr oder weniger in das System eingebunden - anders gesagt, es mag vielleicht auch einfache Arbeiter oder andere Menschen gegeben haben, die durchaus kluge Gedanken hatten, denen aber nie Beachtung geschenkt wurde, weil sie eben nicht die entsprechende Stellung in der Gesellschaft hatten. An den Schulen werden Leute wie Einstein oder Popper als die größten Denker des vergangenen Jahrhunderts propagiert; aber vielleicht hat es noch größere Denker gegeben, die lediglich unbekannt blieben, weil sie es nicht schafften, eine entsprechende Stellung in der Gesellschaft zu erreichen, dass man ihnen Beachtung geschenkt hätte.

Popper war sicherlich einer, der relativ klar formulieren konnte und dessen logisches Denkvermögen recht gut entwickelt war. Das heißt aber nicht, dass es eines Poppers bedurft hätte, um zu den Erkenntnissen zu gelangen, für die er berühmt geworden ist. Die Hauptthese, dass der Wissenschaftsbetrieb aus dem Formulieren von Hypothesen und hartnäckigen Versuchen, diese zu widerlegen, bestehen solle, ist eigentlich gar keine geistige Meisterleistung, denn jedem Menschen, der gut im logischen Denken ist, ist klar, dass sie sinnvoll ist; allerdings ist einem begabten Logiker auch klar, dass diese Vorgangsweise nur anwendbar ist, wenn man Wissenschaft auf allgemein gültige Aussagen (beziehungsweise auf Aussagen, die den Anspruch erheben, allgemein gültig zu sein) beschränkt, also auf universelle Aussagen, auch Allquantoren-Aussagen genannt. Es ist klar: Wenn man sagt, für alle x gilt, dass, dann kann man eine solche Aussage nur beweisen, wenn man jedes einzelne x kennt und von jedem einzelnen x zeigen kann, dass die Aussage zutrifft. Je größer die Menge dieser x ist, desto schwieriger wird es, eine universelle Aussage zu beweisen. Widerlegen kann man sie hingegen leicht: nämlich indem man für ein einziges x zeigt, dass die Aussage nicht zutrifft. So ist Poppers Falsifikationismus zu verstehen. Was dabei aber zu kurz kommt, ist die Tatsache, dass grundsätzlich auch existenzielle Aussagen möglich ist - Aussagen, in denen anstelle eines Allquantors ein Existenzquantor vorkommt. Die Aussage "Es gibt einen Gott" ist beispielsweise eine existenzielle Aussage. Eine solche Aussage ist sehr, sehr schwierig, vielleicht sogar unmöglich zu widerlegen - wie soll man denn beweisen, dass es keinen Gott gibt? Wenn aber klar definiert ist, was man sich unter einem Gott vorzustellen hat, und es jemandem gelingt zu zeigen: "Sehr her, das ist ein Gott!", dann ist ein- für allemal bewiesen, dass es einen Gott gibt. Existenzaussagen können also nur schwerlich widerlegt, aber relativ leicht bewiesen werden. Nach Popper wären Existenzaussagen keine wissenschaftlichen Aussagen - ich selbst sehe aber keinen Grund, warum man so denken sollte. Warum sollte eine Existenzaussage nicht wissenschaftlich sein, nur weil sie nicht oder nur schwerlich falsifizierbar ist?

Das eigentliche Thema dieses Aufsatzes sind aber Biografien. Ich bin nur deswegen ein wenig ausführlicher auf Popper eingegangen, weil mich die Thematik, mit der er sich beschäftigt hat, selbst interessiert, ich davon auch viel Ahnung habe und weil es ein Beispiel ist, warum auch die Aussagen großer Philosophen und Wissenschaftler kritisiert werden können.

Ich bin mir sicher, dass es zu Poppers Zeiten viele andere Menschen gegeben hat, die ähnlich gedacht haben wie er. Und ich vermute auch, dass seine Popularität in den 1980er und 1990er Jahren darauf zurückzuführen ist, dass sich viele in ihren eigenen Ansichten durch ihn bestätigt sahen. Nur hatten sie keine Möglichkeiten, ihre Gedanken derart publik zu machen, wie es Popper in seiner Stellung als Professor der Philosophie konnte.

Interessant in diesem Zusammenhang ist freilich, dass Popper seit seinem Dahinscheiden an Bekanntheit ein wenig eingebüßt hat. Zumindest ist er nicht mehr in Mode. Es sind eher ältere Semester, die sich nach wie vor für seine Philosophie begeistern - und Leute wie ich, die quasi mit der Muttermilch die Philosophie Poppers als Ersatz für eine Religion aufgesaugt haben. Man muss auch bedenken, dass der Falsifikationismus nicht unbedingt Poppers Erfindung war, weil bereits der altgriechische Philosoph Zeno ähnliche Ansichten hatte. Daran erkennt man meiner Meinung nach, dass Philosophen immer wieder in Mode kommen und dann wieder in Vergessenheit geraten. So gesehen, sollte man sich vielleicht die Frage stellen, was Bestand hat. Was hat sich wirklich schon über Jahrhunderte erhalten und wird voraussichtlich noch Jahrhunderte bestehen bleiben?

Die Antwort ist ganz klar: die Religion. Hierzulande in erster Linie die römisch-katholische Religion. Ob die Lehren dieser Religion logisch sind, vermag ich nicht zu beurteilen; ich weiß zu wenig über sie. Welche Mechanismen dafür verantwortlich sind, dass sich die Religion schon so lange halten konnte, das ist die eigentlich interessante Frage. Möglicherweise geht es da gar nicht so sehr um Argumente intellektueller Natur, sondern um Mechanismen der Macht. Man darf ja nicht vergessen, dass die Kirche über viel Geld verfügt und sie in allen möglichen Ländern zahlreiche Anhänger hat. In ländlichen Gebieten soll es auch heute noch schwierig sein, von der Gesellschaft akzeptiert zu werden, wenn man nicht an die etablierte Kirche glaubt. Auch die Trennung zwischen Staat und Kirche ist allenfalls eine Forderung der Liberalen des 19. Jahrhunderts, aber nicht Realität - ich habe recherchiert, es gibt in der österreichischen Bundesverfassung keine Passage, durch die festgelegt wäre, dass Staat und Kirche voneinander getrennt sein müssen. Wahrscheinlich sind sie es gar nicht. Seltsamerweise habe ich in der Schule gelernt, sie wären es. Aber meine Lehrer waren in dieser Beziehung wohl schlecht informiert.

Die Religion gibt den Menschen sicherlich einen gewissen Halt. Sie beantwortet Fragen, die sich viele Menschen sonst stellen und über die sie lang grübeln würden. Der in gläubigen Kreisen sicherlich wenig beliebte Philosoph Karl Marx meinte ja, die Religion sei "Opium fürs Volk". Man könnte auch sagen: "Valium fürs Volk" - Valium ist ein bekanntes Beruhigungsmittel. Es ist auch bekannt, dass Menschen, die regelmäßig in die Kirche gehen, weniger Stress haben und insgesamt glücklicher sind. Vielleicht ist das gar nicht so schlecht.

Ich vermute sogar, dass gläubige Menschen im Studium besser sind, vor allem in Auswendiglernstudien wie Medizin. Denn gläubige Menschen sind unkritisch, sie lesen die Bücher und merken sich alles, ohne es zu hinterfragen oder gar in Frage zu stellen. Das Motto der Katholiken, "ora et labora", ist vielleicht gar nicht so schlecht; Menschen, die so leben, kommen gut durchs Leben, auch wenn - oder gerade weil - sie von vielen Dingen wenig mitbekommen.

Möglicherweise ist das der Grund, warum sich die Religion so lange halten konnte. Dass sich viele Menschen nicht für Philosophie interessieren, mag auch gar nicht unbedingt an mangelndem Verständnis für philosophische Gedankengänge liegen. Es kann auch einfach sein, dass man froh ist, eine Religion zu haben, an die man beruhigt glauben kann, und gar kein Interesse hat, irgendetwas zu hinterfragen oder gar in Frage zu stellen.

Zugegebenermaßen habe ich von den Lehren der christlichen Philosophen, die es ja auch gibt (beziehungsweise gab), wie Augustinus oder Thomas von Aquin, wenig Ahnung. Ich vermute aber, dass es gar nicht so wichtig ist, sich mit ihnen zu beschäftigen, weil sie höchstens zur Rechtfertigung der Politik der Kirche dienen und nicht, weil sie Prinzipien vorgeben würden, an die sich die Kirchenmänner zu halten hätten. In erster Linie geht es der Kirche um die Erhaltung stabiler Machtverhältnisse und um die Mehrung des eigenen Reichtums, wovon die Menschen im Lande insofern profitieren, als sie ein ruhiges Leben führen können und keine Angst vor Aufständen oder gar Revolutionen haben müssen. Das kann man der Kirche nicht verübeln.

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