Ein Autist als Medizinstudent

Nach meinem dritten Studienjahr Medizin verbrachte ich den Juli in der Krebsforschung und mit der Betreuung ausländischer Studierender, die in Wien ein Praktikum absolvierten. Im August famulierte ich dann an der Universitätsklinik für Innere Medizin. Dabei verbrachte ich die Freizeit hauptsächlich im Internet, wo ich viel in der Wikipedia las. Über das Gelesene machte ich mir oft stundenlang noch Gedanken, so auch im Krankenhaus. Den Ärzten fiel es negativ auf, dass ich bei den Visiten langsam reagierte, wenn es hieß, zum nächsten Raum aufzubrechen. Ein Oberarzt fragte mich: "Sind Sie langsam?" Ich erklärte, dass ich wenig geschlafen hatte. Er schickte mich nach Hause: "Schlafen Sie sich aus." Am nächsten Tag stellte er mir eine Aufgabe: Ich sollte die Krankengeschichten einiger Patienten studieren, er würde mich danach über sie ausfragen. Gesagt, getan. Seine Bemerkung zum Schluss: "Das war gar nicht so schlecht!" Schließlich wurde ich zur Psychologin geschickt, die ihr Gespräch mit den Worten eröffnete: "Hat Ihnen schon einmal irgendjemand gesagt, dass Sie 'anders' seien?" Sie kam auch auf die Vermutung zu sprechen, dass ich wohl Drogen nähme. Die Ärzte hätten weiters beobachtet, dass ich mich oft auf stereotype Art und Weise bewege. Da ich ein sehr guter Schüler war, konnte ich den Verdacht auf eine geistige Behinderung entkräften, und letzten Endes wurde mir gestattet, die Famulatur fortzusetzen.

Heute kann ich über diese Episode nur lachen. Es ist gut möglich, dass ich in der Klinik aufgefallen bin, weil bei mir eine leichte Form von Autismus vorliegt. Das erklärt unter anderem die stereotypen Bewegungen. Dass man gleich davon ausging, dass ich wohl Drogen nähme, finde ich grotesk.

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