Die Fächer im Medizinstudium

Die Prüfungsfächer im alten Studienplan Medizin an der Medizinischen Universität Wien lassen sich großteils zwei verschiedenen Gattungen zuordnen:

Einerseits gibt es morphologisch orientierte Fächer, in denen es darauf ankommt, wie etwas aussieht bzw. welchen visuellen Eindruck es hinterlässt. Hier kommt es meistens auf Dinge an, die man mit dem Auge erkennen kann, sei es makroskopisch oder unter dem Mikroskop. Die klinischen Fächer dieser Art sind eher chirurgisch orientiert und erfordern handwerkliches Geschick. Beim Lernen kommt es sehr auf ein gutes Gedächtnis an. Logisches Denken nützt wenig.

Andererseits gibt es funktionell orientierte Fächer, die sich mit Vorgängen im Körper beschäftigen. Viele dieser Vorgänge sind molekularer Natur und können weder mit freiem Auge noch mit dem Mikroskop wahrgenommen werden. Somit sind diese Fächer viel abstrakter. Die klinischen Fächer dieser Art sind eher internistisch orientiert und erfordern oft die Interpretation von Laborbefunden zur Diagnostik. Die Therapie erfolgt in der Regel mit Medikamenten. Beim Lernen kommt es hier auch auf Verständnis an. Manches kann auch durch logisches Denken hergeleitet werden.

Die einzelnen Fächer im Studium würde ich wie folgt kategorisieren; in Klammer meine Prüfungsnote:

1. Chemie: funktionell (1)
2. Physik: funktionell (1)
3. Biologie: funktionell (1)
4. Biochemie: funktionell (2)
5. Anatomie: morphologisch (4)
6. Histologie und Embryologie: eher morphologisch (4)
7. Physiologie: funktionell (4)
8. Psychologie: weder noch, ist eher ein Randgebiet (1)
9. Radiologie: morphologisch (4)
10. Mikrobiologie und Hygiene: teils-teils (4)
11. Pathologische Anatomie: morphologisch (4)
12. Funktionelle Pathologie: funktionell (2)
13. Pharmakologie und Toxikologie: funktionell (3)
14. Sozialmedizin: weder noch, ist eher ein Randgebiet (3)
15. Augenheilkunde: eher morphologisch (2)
16. Psychiatrie: funktionell (2)
17. Zahnheilkunde: morphologisch (3)
18. Gerichtliche Medizin: morphologisch (1)
19. HNO-Heilkunde: morphologisch (3)
20. Frauenheilkunde: morphologisch (3)
21. Dermatologie und Venerologie: eher morphologisch (2)
22. Kinderheilkunde: eher funktionell (2)
23. Innere Medizin: funktionell (2)
24. Chirurgie: morphologisch (4)
25. Neurologie: funktionell (3)

Wie viele Fächer welcher Art gibt es also insgesamt im Studium?
- Morphologische Fächer: 11
- Funktionelle Fächer: 11
- Gemischt: 1
- Sonstige: 2

Daraus ergeben sich in meinem speziellen Fall folgende Durchschnittsnoten:
- Morphologische Fächer: 3,1
- Funktionelle Fächer: 2,1

Der Unterschied ist deutlich: In den funktionellen Fächern hatte ich mehr Erfolg. Ich habe mir auch beim Lernen leichter getan und insgesamt weniger Zeit benötigt, mich auf die Prüfungen in diesen Fächern vorzubereiten.

Sollte das nicht Konsequenzen für das Studium haben? Ich stelle in den Raum, dass es zumindest zwei Arten von Medizinstudenten gibt: solche, denen eher die morphologischen Fächer liegen, und solche, denen eher die funktionellen Fächer liegen. Ich würde nicht so weit gehen, das Medizinstudium in zwei separate Studiengänge zu splitten, aber ich würde vorschlagen, den Studierenden mehr Möglichkeiten zu geben, ihre Schwerpunkte im Studium selbst zu wählen. Das von mir absolvierte Studium der Medizin nach dem alten Studienplan N201 war ein monolithischer Block ohne jegliche Wahlmöglichkeiten, abgesehen von einem Wahlfach im ganzen Studium, das man sich aussuchen konnte. Mir ist schon klar, dass das neue Studium komplett anders aufgebaut ist, aber ich könnte mir vorstellen, dass diese Dichotomie zwischen morphologischen und funktionellen Fächern nach wie vor besteht und in manchen Fällen zu Problemen führt.

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