Der letzte liberale Edelmann

Ich habe Jörg Guido Hülsmanns umfangreiche Mises-Biografie "The Last Knight of Liberalism" kurz angelesen, vor allem um festzustellen, welche Gemeinsamkeiten es zwischen Mises' Leben und meinem eigenen bisherigen Werdegang gibt. Dabei habe ich doch Einiges gefunden, das uns verbindet. Hier einige Zitate und Anmerkungen.

Mises wurde 1881 geboren, also ungefähr 100 Jahre vor mir. Er besuchte das Gymnasium in Wien, was ich, hundert Jahre nach ihm, ebenfalls getan habe.

Hülsmann behauptet, die heutigen Schulen wären mit den Schulen zu Mises' Zeiten nicht vergleichbar. Damals seien die Anforderungen höher gewesen, und die an Gymnasien unterrichtenden Personen seien eher mit Universitätsprofessoren als mit den heutigen Lehrern vergleichbar gewesen. Wenn ich mir aber durchlese, was Hülsmann über die Schulzeit Mises' schreibt, dann muss ich sagen, dass mich vieles an meine eigene Schulzeit erinnert. Zitat Seite 33: "While at the Akademischen Gymnasium, Mises read Caesar, Livy, Ovid, Sallust, Cicero, Virgil, and Tacitus in Latin." All diese Schriftsteller habe auch ich an meiner Schule in Latein gelesen! Und auch wir haben unsere Lehrer als "Herr (bzw. Frau) Professor" angesprochen! Viele unserer Lehrer hatten auch einen Doktortitel, waren also gleichermaßen hoch qualifiziert wie Universitätslehrer! So gesehen, trifft Hülsmanns Bemerkung darüber, dass die Schulen heute nicht mehr so gut wären wie damals, auf meine eigene Schullaufbahn nicht zu. Ich habe noch eine Schule wie zu Mises' Zeiten besucht. Nur Griechisch habe ich nicht gehabt.

Auf Seite 38 heißt es dann: "Then as now, young students endured school as a routine. It was not where they found their interests or passions. But while students today might look forward to sports or movies after school, their Viennese counterparts at the end of the nineteenth century looked forward to reading and writing what was not taught in school—in other words, to their real educations. In school, a fourteen-year-old would read the Latin and Greek classics; he stuffed his brain with the minutiae of German and European history, and he did so without enthusiasm. But after school he would devour modern writings on science and the arts. Why did these Viennese boys have such a different notion of having a good time from virtually all other generations at virtually all other places? The answer is, in brief: traditionalist Jewish culture let loose in a secular environment. The true passion of these young men, who came from families that just a generation before had left the rural rabbinical order, was intellectual adventure in the secular realm—a pursuit unavailable to their ancestors. They threw themselves into literature, theater, opera, whatever aroused their curiosity. Raised to value religious scholarship, they found in Vienna the intellectual delights of the secular world."

Das, und nur das, ist der große Unterschied zu meiner eigenen Schulzeit. Unsere Schule war zwar gut, vergleichbar mit den Schulen zu Mises' Zeiten, aber die Schüler waren eben nicht so intellektuell veranlagt wie die hier beschriebenen jüdischen Kinder des 19. Jahrhunderts. Dazu habe ich mich in diesem Blog schon mehrere Male geäußert.

Die Bemerkung auf Seite 97, "On November 1, Nicolas’s October Manifesto was read in the Austrian parliament and the social democrats began singing the Marseillaise", hat mich daran erinnert, dass ich auf unserer Romreise in der 6. Klasse des Gymnasiums einmal ebenfalls (einfach zum Vergnügen) begonnen habe, die Marseillaise zu singen. Mein Lateinlehrer daraufhin zu mir: "So, du bist also ein Republikanerschwein?" Er war Monarchist und damit Anhänger einer politischen Richtung, die ich bereits für ausgestorben hielt.

Über die damaligen Möglichkeiten, eine Hochschulkarriere zu machen, heißt es schließlich auf Seite 177: "In those days, such an enterprise [Habilitation] required unusual private financial means or unusual energy. There were no university positions for these young scholars to earn a living while they pursued a long-term research project. They were private scholars with only loose university affiliations; they could hope for academic employment only after the successful completion of a Habilitation thesis. Meanwhile they had to survive a prolonged period of professional and material insecurity. If they could not rely on their family, or did not wish to do so, they had to earn their living in some other occupation while pursuing scholarship at night. This was science the hard way, and it was Mises’s way from March 1906 until December 1911, when he finally sent his completed manuscript to the publisher."

Heutzutage ist das auch nicht wesentlich anders. Anstellungen als Universitätsassistent sind auf kurze Zeiträume limitiert, so dass nicht einmal gesichert ist, dass man solange angestellt bleibt, bis man seine Dissertation fertig hat. Nur sehr wenige können ihren Traum erfüllen, Professoren zu werden. Die meisten Hoch- und Höchstbegabten müssen (leider oder zum Glück?) andere Wege finden, ihre Fähigkeiten und Neigungen beruflich zu verwerten.

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