Politik und Schule

Als ich vor einigen Jahren die Biografien zweier Ärzte las, die unter anderem zur Zeit der Weimarer Republik lebten und damals die Schulbank drückten, war ich erstaunt, dass sie so viel über die politische Gesinnung ihrer einzelnen Lehrer Bescheid wussten. Anscheinend war es damals noch nicht verboten, an öffentlichen Schulen parteipolitische Stellungnahmen zu verbreiten. Bei uns äußerten sich die Lehrer selten offen über Politik, aber man konnte im Laufe der Jahre schon einige Dinge in Erfahrung bringen:

Unsere Englischlehrerin gehörte dem linksgrünen Spektrum an, engagierte sich in ihrer Freizeit für Umweltschutzorganisationen und Amnesty International. Unser Lateinlehrer war ein erzkonservativer Monarchist. Die Deutsch- und Französischlehrerin hatte sich in ihrer Jugend bei den "Freiheitlichen" (Deutschnationalen) engagiert und später der Sozialdemokratie zugewandt. Die Geschichtelehrerin bezeichnete sich selbst als "konservativ". Der Physiklehrer war in der "roten" Lehrergewerkschaft engagiert. Und die Lehrerin, die ich je ein Jahr in Chemie und in Biologie (Genetik) hatte, war eine überzeugte Sozialdarwinistin. Sie vertrat die Meinung, man solle jene, die nicht in der Lage wären, sich an die Anforderungen der Gesellschaft anzupassen, einfach sterben lassen. Ihre politischen Ansichten sah sie am besten durch die Freiheitliche Partei Österreichs repräsentiert.

Wegen des Verbots der Parteipolitik wurde an unserer Schule, wie gesagt, nicht offen über Politik diskutiert. Die politische Debatte fand auf subtilere Weise statt, nämlich in erster Linie in Form der schriftlichen Aufsätze und Analysen, die wir als Hausübungen abzuliefern hatten. Dabei mussten wir im Fach Englisch wesentlich mehr schreiben als im Fach Deutsch. Die Englischlehrerin war in dieser Beziehung wesentlich anspruchsvoller und engagierter. Viele Mitschüler trauten sich freilich nicht, eine andere Meinung zu vertreten als die, welche die Lehrerin zuvor im Unterricht verkündet hatte. Ich war einer der wenigen, die von Zeit zu Zeit auch eigene Gedanken einfließen ließen, was mir in meinem Fall notentechnisch keineswegs geschadet hat. Natürlich ging es in diesen Aufsätzen selten um konkrete politische Statements. Aber wenn man nicht ganz dumm ist, kann man aus Aufsätzen über Themen wie Freiheit, Menschenrechte oder Genitalverstümmlung natürlich herauslesen, welches Weltbild jemand hat.

Hierzulande ist Politik jedenfalls eines der führenden Gesprächsthemen unter erwachsenen Menschen. Sowohl in meiner Familie als auch in Vereinen, in denen ich Mitglied bin, wird ständig über Politik geredet. Insofern ist es verständlich, dass Parteipolitik an unseren Schulen verboten ist. Wenn Parteipolitik an den Schulen nicht verboten wäre, würde wohl nur über Politik debattiert werden und kein fachlicher Unterricht mehr erfolgen.

Freilich sind unterschiedliche politische Ansichten auch ein wichtiger Grund, warum manche Leute einander nicht sonderlich mögen. Insofern trägt das Verbot der Parteipolitik an Schulen auch zur Harmonie innerhalb der Schulgemeinschaft bei.

Dabei erfolgt die Vergabe der Direktorenposten an öffentlichen Schulen meines Wissens nach durchaus nach politischen Kriterien. Unser Direktor am Goethe-Gymnasium (Astgasse) war angeblich ein "Roter". Wie bereits gesagt, hat das nicht bedeutet, dass alle Lehrer ebenfalls "rot" gewesen wären. Wir hatten ein relativ buntes Spektrum an Weltanschauungen an unserer Schule. Das fand ich gut. So wurde man nicht so stark in eine bestimmte Richtung geprägt. An Privatschulen ist das meines Wissens nach anders. Viele Privatschulen werden von religiösen Organisationen getragen. Da ist davon auszugehen, dass alle Lehrer dieser Religion und den mit ihr verbundenen politischen Parteien mehr oder weniger nahe stehen.

In einer Deutsch-Schularbeit habe ich jedenfalls einmal eine Phantasiegeschichte geschrieben, in der ich dem Vatikan unterstellte, Atomwaffen zu horten, um die Weltherrschaft zu erlangen. Auf diese Schularbeit bekam ich die Note "sehr gut (1)". Das habe ich wohl der Tatsache zu verdanken, dass ich in eine "rote" Schule gegangen bin. Hätte ich diesen Aufsatz an einer katholischen Privatschule abgegeben, wäre ich wohl von der Schule geflogen.

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